Moderne Technik macht vieles möglich, so dass blinde und sehbehinderte Menschen die Chance auf ein selbständiges und unabhängiges Leben haben. Und trotzdem sind menschliche Assistenz und Begleitung bei der Mobilität, am Arbeitsplatz und in der Freizeit auch weiterhin Alltag von vielen behinderten Menschen.
Bei der Fachtagung des Dachverbandes der evangelischen Blinden- und evangelischen Sehbehindertenseelsorge (DeBeSS) am letzten Wochenende, vom 22. – 24. Februar 2019, in Augsburg wurde darüber unter dem provozierenden Titel „Hast Du schon die App oder verlässt Du dich noch auf Menschen?“ diskutiert. 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Alter von 17 – 73 Jahren fragten sich: Was ist eigentlich Assistenz? Wie weit können technische Hilfsmittel nützlich sein, ohne sich selbst zu überfordern? Und was bedeutet es für einen Menschen, dauerhaft auf Hilfe und Unterstützung durch andere Menschen angewiesen zu sein?
Zur Fachtagung eingefunden hatten sich Expertinnen und Experten in eigener Sache. Gemeinsam am Thema arbeiteten Menschen, die ehrenamtlich oder hauptamtlich als Assistenz tätig sind, und blinde und sehbehinderte Frauen und Männer, die selbst Assistenz benötigen. Aus verschiedenen Blickwinkeln wurde das komplexe Themenfeld angegangen. Der Jurist Christian Seuß nahm dabei die gesetzliche Lage in seinem Referat in den Blick. Die Wissenschaftlerin Dr. Birgit Drolshagen berichtete aus ihrer Forschungsarbeit, bei der die Hintergründe und Strategien sehbehinderter Menschen zur Deckung ihres Unterstützungsbedarfs untersucht wurden.
Sechs Workshops vertieften das Thema Assistenz und boten Raum für den intensiven Austausch. Es wurde nach der Motivation von Menschen gefragt, warum sie anderen helfen, und der Frage nachgegangen, was eine Ausbildung für Assistenzen zur Vorbereitung enthalten sollte. Die Zukunft der assistiven Technologien, ihr Fluch und Segen, waren im Fokus. Und unter dem Statement „Mein Lohn ist, dass ich dienen darf“ wurde die christliche Nächstenliebe ins Gespräch gebracht.
Die anwesenden Blindenführhunde hätten eigentlich ihren eigenen Workshop haben müssen, da auch sie Helfer sind und Assistenz leisten. Doch sie nutzten den intensiven Austausch der Menschen lieber zu einem kleinen Schläfchen.
Ein wichtiges Ergebnis der gemeinsamen drei Tage war, dass eine offene Kommunikation auf Augenhöhe dringend notwendig ist. Menschen, die Assistenz benötigen, müssen lernen, klar und deutlich zu formulieren, was sie wann und wie benötigen, damit sie selbstbestimmt ihr Leben leben können. Aber auch Menschen, die andere begleiten und unterstützen, müssen sich über ihre Rolle und Aufgaben bewusst werden. Das klingt einfach, ist aber nicht immer leicht. Andere zu unterstützen, angewiesen zu sein auf Hilfe, das ist auch ein Thema, bei dem die eigenen Emotionen nicht außen vor bleiben. Trotz der offenen verständnisvollen gemeinsamen Arbeit waren auch Wut und Trauer spürbar, die sich auch auf die noch immer nicht ausreichende gesellschaftliche Unterstützung richteten.
Und so war die gesungene Bitte im Abschlussgottesdienst – „Du, Gott, stützt mich, du, Gott, stärkst mich, du, Gott, machst mir Mut.“ – auch ein Hilferuf, dass mit Gottes Begleitung das, was uns Menschen allein nicht gelingt, auf einen guten Weg gebracht werden kann.
Bei der intensiven Arbeit durfte aber auch die Entspannung nicht fehlen. Ein Konzertabend mit der Folkband Kwaerthon brachte alle zusammen, es wurde geklatscht, mitgesungen und getanzt. Und im Anschluss an das Konzert gab es sogar die Gelegenheit, die außergewöhnlichen Instrumente ausführlich zu befühlen. Bei einem Rundgang in und um die Kirche St. Anna sowie einem Besuch im Brauhaus wurde die Stadt Augsburg erforscht.
Eine gelungene Fachtagung, die alle mit neuen Einsichten, Ideen und Aufgaben nach Hause entsandte. Und so war der Abschied am Sonntag begleitet von den Worten – wir sehen uns wieder bei der nächsten Fachtagung von DeBeSS im Jahr 2021!